Benin – Die Wiege des Voodoo und ein Stück unentdecktes Afrika
13. Juli 2023
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20. Juli 2023Stell dir vor, du fährst mit einem kleinen Boot über einen stillen See, die Sonne glitzert auf dem Wasser, und plötzlich taucht vor dir eine Stadt auf – aber nicht irgendeine Stadt, sondern eine Stadt auf Stelzen. Häuser, Märkte, Schulen – alles auf dem Wasser. Es wirkt wie eine Szene aus einem Traum, wie eine Kulisse, die für einen Film über eine vergessene Zivilisation gebaut wurde. Aber Ganvié ist echt.
Dieses Dorf auf dem Nokoué-See in Benin ist eines der unglaublichsten Beispiele für menschliche Anpassungsfähigkeit. Es wird oft als «Venedig Afrikas» bezeichnet – ein Titel, der einerseits treffend ist, aber gleichzeitig nicht annähernd die Einzigartigkeit dieses Ortes beschreibt.
Denn Ganvié ist nicht nur eine Stadt auf dem Wasser. Es ist ein Symbol für Überlebenswillen, Gemeinschaft und ein Leben im Einklang mit der Natur.
Eine Stadt, geboren aus Angst – und aus Genialität
Ganvié existiert aus einem einfachen, aber dramatischen Grund: Flucht.
Vor Jahrhunderten, als der transatlantische Sklavenhandel Westafrika heimsuchte, suchten die Tofinu-Menschen nach einem sicheren Ort. Die brutalen Sklavenjäger des Königreichs Dahomey hatten eine Regel: Sie durften auf dem Wasser keine Menschen gefangen nehmen.
Das war der Funke für eine außergewöhnliche Idee: Warum nicht auf dem Wasser leben?
Und so wurde Ganvié geboren – eine Stadt auf Stelzen, mitten im See, außerhalb der Reichweite der Sklavenfänger. Eine schwimmende Festung, die zur Heimat wurde.
Heute, Jahrhunderte später, leben hier 20’000 bis 40’000 Menschen – die genaue Zahl variiert je nach Quelle. Aber eins ist sicher: Das Wasser ist ihr Leben.








Ein Alltag, der sich von allem unterscheidet
Als ich mit dem Boot langsam durch die engen Wasserwege von Ganvié glitt, wurde mir klar: Das Leben hier ist völlig anders als alles, was ich kenne.
- Es gibt keine Strassen – nur Kanäle. Jeder hat ein Boot, und Kinder lernen zu paddeln, bevor sie laufen können.
- Es gibt schwimmende Märkte. Frauen balancieren Waren auf den Köpfen, während sie ihre Boote geschickt mit einer einzigen Handbewegung steuern.
- Die Schule ist auf Stelzen. Die Kinder kommen morgens nicht zu Fuss, sondern mit kleinen Einbaum-Kanus.
- Die Fischer werfen ihre Netze direkt vor der Haustür aus. Das Wasser ist ihre Nahrung, ihr Arbeitsplatz, ihr Zuhause.
Aber es ist nicht nur die Kulisse, die mich beeindruckt, sondern die Ruhe.
Ganvié ist kein hektischer Ort. Hier gibt es kein Hupen, kein Gedränge, keine Eile. Die Menschen bewegen sich in einem eigenen Rhythmus, sanft und stetig, so wie das Wasser unter ihren Häusern.
Moderne trifft Tradition
Trotz seiner Ursprünge in einer längst vergangenen Zeit ist Ganvié nicht in der Vergangenheit stecken geblieben.
Ich sehe Satellitenschüsseln auf einigen Dächern, Solarpaneele, die das Dorf mit Strom versorgen, und Jugendliche, die mit Smartphones auf ihren Booten sitzen. Gleichzeitig werden uralte Bräuche bewahrt – die Kunst des Fischfangs, die Bedeutung von Voodoo in der Gemeinschaft, die Art und Weise, wie die Häuser gebaut werden, um den Wasserschwankungen zu trotzen.
Ganvié ist ein faszinierender Mix aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Überleben und Fortschritt, aus Kreativität und Beständigkeit.
Ein Ort, der bleibt
Als ich am Ende meines Besuchs in Ganvié auf einer wackeligen Holzplattform sitze, spüre ich, dass dieser Ort eine Kraft hat, die weit über seine physische Existenz hinausgeht.
Hier geht es nicht nur um ein schwimmendes Dorf. Hier geht es um eine Geschichte von Widerstandsfähigkeit, Einfallsreichtum und Anpassung.
Ganvié ist ein Beweis dafür, dass Menschen selbst unter den härtesten Bedingungen Wege finden zu überleben – und sogar zu gedeihen.
Ein einzigartiger Ort. Ein kleines Wunder auf dem Wasser. Und definitiv ein Ort, den man nie wieder vergisst.